Hans-Peter Scharlach
Chinesen im Sportlerheim
Die fünfte Internationale Medienkunst-Biennale in Tornitz/Werkleitz an der Saale
Sabine Vogel 05. August 2002 Berliner Zeitung
(...) "Das ist mein Land" knödelte eine Stimme auf Englisch zur Gitarre. Eine Kamera fährt dazu durch ein Zimmer, schnüffelt in zerwühlten Kissenbezügen in gelb-grünem Blumendekor, tastet den Teppichboden ab, klettert an Elektrokabeln die Wand zur Steckdose hoch, wandert über die Raufasertapete um einen Türsturz, kriecht die Schnürsenkel von einem Paar Stiefel vor einer Zentralheizung entlang, streift über die Rippen des Heizkörpers, findet eine Lampe und am Kabel entlang wieder zurück zur Steckdose. Diese dreiminütige Videoschleife von Hans-Peter Scharlach, ausgestellt im schäbig-aufgepoppten "Kraftraum des Jugendclubs", transformierte in ihrer unambitionierten Banalität das Thema "Heimat" zu einem Clip aus klaustrophobischer Oberflächlichkeit. "Dies Land" wird eingeschmolzen auf die Frage: Kann ich meine nächste Monatsmiete noch zahlen? Darf ich hier bleiben? In dieser Kleinheit wurde die existenzielle Frage wieder groß und die Kunst hat doch wieder einmal funktioniert.
Videos und Audio-CDs von Hans-Peter Scharlach
Olaf Karnik, Nyahbinghi Surround, Köln 2003
Nicht umsonst trägt eins der Videos von Hans-Peter Scharlach den Titel „Bravo" – wie das gleichnamige Magazin für jugendliche Popfans. Mit der Lektüre der „Bravo" begann für viele Generationen in der Pubertät die Aneignung popkultureller Codes, die Konstruktion wechselnder Wunsch-Identitäten und die Aufklärung emotionaler wie sexualtechnischer Probleme. Scharlachs „Bravo" löst die Heft-Lektüre in verschwommene, stark sexuell aufgeladene Bilder auf, wobei die Ästhetik der Malerei ins zeitbasierte Medium überführt wird. Als akustische Reflexion des sexuellen Begehrens erklingt dazu Led Zeppelins orgiastisches Stück „Since I’ve Been Loving You" – samt amateurhaftem Mitgesang vom Künstler selbst.So verfährt Scharlach auch auf seinen CDs „Hits", „Ultimate Music" und „Scarlet Highway". Pophits von Robbie Williams, Nirvana oder Freundeskreis und Country-Stücke von Willie Nelson oder Johnny Cash werden hier von seiner Stimme begleitet, wobei der Modus der Imitation zwischen Mitsingen und Nachsummen wechselt. Dieser Singsang wäre die Stimme des Pop-Hörers selbst, desjenigen, der vor dem Spiegel stehend mitsingt – ihm wird bei Scharlachs Vertonung von Aneignungsprozessen eine Stimme gegeben. Auch die gewollt billig oder beiläufig klingende Musik in Scharlachs Videos taugt kaum zur Fetischisierung – und lenkt die Aufmerksamkeit auf Bilder, die en passant Wirklichkeiten erkunden oder malen. Wie ein kindgerechtes Musikvideo wirkt „Fulminating Shot" mit seinen graphischen Mustern, monochromen Farbflächen und den abstrakten Motiven mit menschlichem Antlitz. Umgekehrt gelingt in den von Fotos abgefilmten Videos „Reiten" oder „Biarritz" die Er-fremdung des allzu Alltäglichen. Ob das Kamera-Auge hier endlos einen Schilderwald der Warenzeichen oder Mauern und Häuserfassaden abfährt – die Bilder wirken abweisend und unheimlich, wo sich Details von ihrem konkreten Kontext lösen und kein Mensch von den zivilisatorischen Zeichen Gebrauch macht. Umso mehr sprechen die Dinge. Manchmal gibt es – wie in „Bailando" – einfach nur eine Toreinfahrt zu sehen, die von der Kamera tänzelnd abgefahren wird. Je mehr sie sich im Kreise dreht, desto näher kommen Türgriff, Graffitis, übermalte Flächen. Wahrnehmung erweitert sich zur Suche nach Bedeutung, nach Verbindung von Spuren. Man muss die Dinge nur länger und mehrmals betrachten, vergrößern und verkleinern, um etwas zu entdecken. Es muss ja nicht gleich eine Leiche sein, wie in Michelangelo Antonioni's „Blow Up".
Die Gärten von Köln, die Straßen von Biarritz
Hans-Peter Scharlach zeigt seine gewitzten Kunststücke in der artothek
Jürgen Kisters, KStA 17.9.2003
Hat das Mitsingen von Popsongs, der Gebrauch des digitalen Fotoshops und die Löcher in Pressspanplatten etwas mit Kunst zu tun? Natürlich, meint Hans-Peter Scharlach in der artothek. Computerprints, auf die Wand projizierte grafische Muster, Tonaufnahmen von des Künstlers Singkünsten und schlichte Videosequenzen von Gärten in Köln und Straßenblicke in Biarritz gehören zu den gewitzten Pacours.
Hans-Peter Scharlachs Kunstauffassung ist vor allem spielerisch. Manches erscheint spaßig und verbreitet zugleich Ratlosigkeit. Unkonventionell, schlicht und kreativ beschwingt, scheint der 1967 geborene Scharlach nichts Bestimmtes zu suchen - und, wie wie beiläufig Überraschendes zu finden. Wo der Betrachter seiner Ausstellung nicht genau wissen wohin der Weg sie eigentlich führt, während sie schon eine ganze Weile unterwegs und verwickelt sind, hat der Künstler zweifellos die richtigen Köder ausgelegt. So frisch und ungezwungen Scharlach seine Arbeit in der Artothek vorstellt, wünscht man sich im spätgotischen Bürgerhaus Am Hof 50 auch weiterhin Ausstellungen (...)
The Fifth International Media Art Biennale in Tornitz/Werkleitz an der Saale
Sabine Vogel 05. August 2002 Berliner Zeitung
Videos and Audio CDs by Hans-Peter Scharlach
Olaf Karnik, Nyahbinghi Surround, Cologne 2003
The Gardens of Cologne, the streets of Biarritz
Hans-Peter Scharlach shows his clever tricks in the Artothek
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